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Österreich: Wer entscheidet, wer entscheidet, wer entscheidet? EuGH-Regeln zur „Kompetenz-Kompetenz“ von Schiedsgerichten

Juni 24, 2019

Das so genannte „Kompetenz-Kompetenz-Prinzip“ sieht im Wesentlichen vor, dass ein Schiedsgericht selbst entscheidet, ob es für die Entscheidung einer vor ihm anhängigen Streitigkeit zuständig ist1. Das bedeutet, dass ein staatliches Gericht bei einer Entscheidung eines Schiedsgerichts grundsätzlich keine Rolle zu spielen hat.
Einführung
Dieses Prinzip wurde jedoch nie in seiner reinsten Form umgesetzt. Wie weit seine Umsetzung im Rahmen der Verordnung 44/20012 (die Verordnung) reicht, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun in seiner Entscheidung in Sachen Allianz SpA und einer weiteren v. West Tankers Inc3 geklärt.

Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fakten lauten wie folgt. Ein Schiff im Besitz von West Tankers kollidierte mit einem Steg vor Siracusa, Italien. Der Anleger gehörte der ERG Petroli SpA, die das Schiff zufällig auch von West Tankers gechartert hatte. Ein Teil des Schadens der ERG wurde von den Versicherern der ERG übernommen. Die ERG hat den verbleibenden Schaden von West Tankers im Schiedsverfahren gemäß der Schiedsklausel im Chartervertrag, die ein Schiedsverfahren in London vorsah, geltend gemacht. Die Versicherer beantragten gegen West Tankers den Rückgriff auf den an die ERG gezahlten Betrag vor italienischen Gerichten in Siracusa. West Tankers beantragte bei englischen Gerichten eine einstweilige Verfügung und verbot den Versicherern, vor den italienischen Gerichten zu klagen, da sie behaupteten, dass auch die Versicherer Ansprüche in einem Schiedsverfahren in London geltend machen sollten. Die englischen Gerichte haben die einstweilige Verfügung erlassen, die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht jedoch an den EuGH verwiesen.
Eine einstweilige Verfügung verbietet es einer Partei, ihre Ansprüche in einem Gerichtsverfahren geltend zu machen, das sie bei (angeblicher) Verletzung einer Schiedsvereinbarung eingeleitet hat. Sie sind in Kontinentaleuropa selten, werden aber häufig von englischen Gerichten gewährt.

Der EuGH sollte dann entscheiden, ob die einstweilige Verfügung mit der Verordnung vereinbar ist. Einer der Schwerpunkte der Entscheidung, die für die Schiedsgerichtsgemeinschaft von hoher praktischer Relevanz ist, ist die Frage, welches Organ für die Entscheidung über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts zuständig ist.

Das Prinzip der Kompetenz-Kompetenz
Im Fall West Tankers hat der EuGH die einstweilige Verfügung nicht zugelassen, weil sie mit der Verordnung unvereinbar war. Sie stützte ihre Entscheidung in erster Linie auf die in der Verordnung verankerte „erste Gerichtsbarkeit“, die besagt, dass, wenn ein (zweites) Gericht mit der Entscheidung einer bereits bei einem Gericht eines EU-Mitgliedstaats anhängigen Streitigkeit befasst wird, das zweite Gericht sein Verfahren aussetzt. Folglich sollte das italienische Gericht über seine Zuständigkeit und damit auch über die Gültigkeit der von West Tankers angewandten Schiedsklausel entscheiden. Es war daher das italienische Gericht, das über die Gültigkeit der Schiedsklausel nach italienischem Recht entschied, das ein Schiedsverfahren in London vorsah.

Dieses Ergebnis gefährdet ernsthaft die Grundprinzipien der Schiedsgerichtsbarkeit, auch wenn es aus europarechtlicher Sicht richtig sein mag.

Die Entscheidung des Schiedsgerichts über seine eigene Zuständigkeit ist nicht uneingeschränkt. Während moderne Schiedsgerichtsgesetze den Schiedsrichtern in der Regel die Kompetenz einräumen, über ihre eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ist es fast immer eine Entscheidung, die der gerichtlichen Kontrolle der nationalen Gerichte des Schiedsgerichtsortes unterliegt4. Die Parteien, die in ihrer Schiedsvereinbarung einen Schiedsort festgelegt haben, werden von der gerichtlichen Kontrolle des Schiedsspruchs gewusst haben und auch (zumindest implizit) den Kontrollbefugnissen der Gerichte des Schiedsortes unterworfen gewesen sein5. In den meisten Rechtsordnungen ist dieses Gericht auch für die endgültige Entscheidung über die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung zuständig.
Was passiert jedoch, wenn eine Partei vor oder nach der Einleitung eines Schiedsverfahrens bei einem ausländischen Gericht einen Anspruch geltend macht, wonach die Schiedsvereinbarung ungültig ist? Das Europäische Übereinkommen über das internationale Handelsschiedsgerichtsverfahren befasst sich nur mit Fällen, in denen ein Anspruch nach Einleitung eines Schiedsverfahrens bei einem Gericht geltend gemacht wird, und sieht in solchen Fällen vor, dass das befasste Gericht sein Verfahren bis zur Erlangung des Schiedsspruchs aussetzt.

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